Die Zukunft der Krebsdiagnostik: Zirkulierende Tumor-DNA (ctDNA)
Die jüngsten Fortschritte in der Krebsforschung haben unser Verständnis der komplexen Tumorbiologie deutlich erweitert. Besonders vielversprechend ist die Untersuchung zirkulierender Tumor-DNA (ctDNA) – winziger, zellfreier DNA-Fragmente, die von Krebszellen in die Blutbahn abgegeben werden. Der Nachweis und die Analyse dieser Fragmente ermöglichen einen innovativen Ansatz für die Krebsdiagnose und -überwachung, der durch außergewöhnliche Präzision und minimale Invasivität überzeugt.
Was ist zirkulierende zellfreie DNA?
Genomische DNA (gDNA) umfasst die gesamte DNA innerhalb einer Zelle, die die stabile, vererbbare genetische Information enthält. Im Gegensatz dazu, bezeichnet zirkulierende zellfreie DNA (cfDNA) DNA-Fragmente, die frei im Blutkreislauf zirkulieren. Diese Fragmente entstehen als Nebenprodukte zellulärer Prozesse wie Apoptose (programmierter Zelltod) und können wie folgt klassifiziert werden:
- Gesamt-cfDNA inkludiert sämtliche zellfreien DNA-Fragmente im Blutkreislauf, unabhängig von ihrer Herkunft. Dazu zählen DNA-Fragmente, die durch normalen Zellumsatz, Gewebeschädigungen, Immunreaktionen oder andere physiologische und pathologische Prozesse freigesetzt werden.
- Zirkulierende Tumor-DNA (ctDNA) ist eine spezifische Untergruppe der cfDNA, die aus DNA-Fragmenten besteht, die von Krebszellen freigesetzt werden. Sie enthält genetische Mutationen oder Veränderungen, die charakteristisch für Tumore sind, und dient somit als entscheidender Marker für die Diagnose und Überwachung von Krebserkrankungen.
Wie wird das Level an cfDNA im Blut reguliert?
Die Konzentration von cfDNA im Blut wird durch das Gleichgewicht zwischen Freisetzung und Abbau reguliert.
cfDNA-Freisetzung
cfDNA wird durch verschiedene biologische Prozesse in den Blutkreislauf abgegeben. Diese Prozesse treten sowohl unter normalen als auch unter pathologischen Bedingungen auf und beeinflussen den Gesamtpool der cfDNA im Körper. Die wichtigsten Mechanismen der cfDNA-Freisetzung umfassen [1]:
1. Zelltod:
- Apoptose: Programmierter Zelltod, bei dem DNA fragmentiert und in den Blutkreislauf freigesetzt wird.
- Nekrose: Zelltod infolge von Verletzungen, bei dem ebenfalls DNA-Fragmente freigesetzt werden.
2. Weitere Mechanismen:
- Onkose: Ein präletaler Zellzerfall, begleitet von Zell- und Organellenschwellung, Membranbläschenbildung und erhöhter Membranpermeabilität [2].
- Pyroptose: Entzündungsbedingter programmierter Zelltod, gekennzeichnet durch Zellschwellung und osmotische Lyse, die DNA-Fragmente freisetzt [3].
- Phagozytose: Immunzellen verschlingen und verdauen apoptotische oder nekrotische Zellen, wodurch DNA in den Blutkreislauf gelangt.
- Aktive Sekretion: Einige Zellen sezernieren aktiv DNA in den extrazellulären Raum und tragen so zum zirkulierenden cfDNA-Pool bei.
- Neutrophile extrazelluläre Fallen (NETs): Neutrophile setzen als Reaktion auf eine Infektion oder Entzündung DNA frei und bilden Strukturen, die als NETs bekannt sind und Krankheitserreger abfangen und neutralisieren [4].
Ein Anstieg der cfDNA-Konzentration kann auf Zustände wie Krebs, Schwangerschaft, Entzündungen oder Infektionen zurückzuführen sein. Bei Krebserkrankungen tragen Tumorzellen erheblich zur cfDNA bei, insbesondere durch ctDNA, die tumorspezifische genetische Veränderungen enthält.
cfDNA Abbau
cfDNA hat eine kurze Halbwertszeit von in der Regel wenigen Minuten bis maximal 1–2 Stunden. Diese Eigenschaft ermöglicht eine dynamische Echtzeit-Überwachung biologischer Prozesse, wie die Bewertung von Reaktionen eines Tumors auf die Behandlung oder die Beurteilung von Gewebeschäden. Der cfDNA-Gehalt im Blut wird durch effiziente Abbau- und Entsorgungsmechanismen reguliert. Zu den zentralen Mechanismen der cfDNA-Clearance gehören [1]:
1. Beteiligte Organe:
- Leber und Milz: In diesen Organen werden DNA und Nukleosomen vor allem durch spezifische Makrophagen aufgefangen und abgebaut.
- Nieren: Extrazelluläre, einzelsträngige DNA wird in den Glomeruli der Nieren gefiltert und entfernt.
2. Zirkulierende Enzyme:
- DNase I: Dieses Enzym ist essentiell für den Abbau von cfDNA. Es zerlegt die DNA in kleinere Fragmente, wodurch eine Anhäufung von cfDNA im Blutkreislauf verhindert wird.
Beeinträchtigter cfDNA Abbau
Bei gesunden Individuen wird cfDNA effizient aus dem Blutkreislauf entfernt, was niedrige und stabile Konzentrationen gewährleistet. Unter bestimmten pathologischen Bedingungen können die Clearance-Mechanismen jedoch beeinträchtigt sein, was zu einer Akkumulation von cfDNA führt:
- Krebs: Tumorwachstum und der damit verbundene Zelltod (Apoptose und Nekrose), sowie eine ineffiziente cfDNA-Clearance tragen zu einem Anstieg der cfDNA-Konzentration bei. Mit dem Fortschreiten des Tumors steigt der Anteil an ctDNA, die tumorspezifische genetische Veränderungen enthält, erheblich an.
- Chronische Entzündungen oder Infektionen: Anhaltender Zelltod und eine kontinuierliche Aktivierung des Immunsystems können die Clearance-Mechanismen überlasten, was ebenfalls zu erhöhten cfDNA-Werten führt.
Die Akkumulation von cfDNA, insbesondere ctDNA, ist ein charakteristisches Merkmal, das für diagnostische Zwecke genutzt werden kann. Sowohl die Konzentration als auch die spezifischen genetischen Mutationen in der cfDNA bieten wertvolle Informationen über die Tumorlast, das Ansprechen auf therapeutische Maßnahmen und den Krankheitsverlauf. Die Analyse dieser Parameter eröffnet neue Möglichkeiten für die Überwachung und Behandlung von Krebs.
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Ausblick
Nachdem Sie nun ein solides Verständnis von cfDNA erlangt haben, freuen Sie sich auf unseren Folgeartikel. Darin werden wir die biologischen Vorteile von cfDNA und die Anwendungen von ctDNA in der Krebsfrüherkennung und Behandlungsüberwachung genauer behandeln.
Autorin: Lisa Baum, Bioinformatikerin und Datenwissenschaftlerin, Liqomics
Literaturhinweise
[1] Kustanovich A, Schwartz R, Peretz T, Grinshpun A. Life and death of circulating cell-free DNA. Cancer Biol Ther. 2019;20(8):1057-1067. doi: 10.1080/15384047.2019.1598759. Epub 2019 Apr 16. PMID: 30990132; PMCID: PMC6606043.
[2] Fink SL, Cookson BT. Apoptosis, pyroptosis, and necrosis: mechanistic description of dead and dying eukaryotic cells. Infect Immun. 2005 Apr;73(4):1907-16. doi: 10.1128/IAI.73.4.1907-1916.2005. PMID: 15784530; PMCID: PMC1087413.
[3] Liu Y, Pan R, Ouyang Y, Gu W, Xiao T, Yang H, Tang L, Wang H, Xiang B, Chen P. Pyroptosis in health and disease: mechanisms, regulation and clinical perspective. Signal Transduct Target Ther. 2024 Sep 20;9(1):245. doi: 10.1038/s41392-024-01958-2. PMID: 39300122; PMCID: PMC11413206.
[4] Rada B. Neutrophil Extracellular Traps. Methods Mol Biol. 2019;1982:517-528. doi: 10.1007/978-1-4939-9424-3_31. PMID: 31172493; PMCID: PMC6874304.